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Bildung in Deutschland

Schulnoten auf dem Prüfstand:
Zeit für ein Umdenken?

Kaum ein Thema wird im Bildungsdiskurs so leidenschaftlich diskutiert wie Schulnoten. Für die einen sind sie ein unverzichtbares Instrument zur Leistungsbewertung und -vergleiche, für die anderen ein Relikt aus einer Zeit, in der Bildung vor allem der Selektion diente. Was steckt hinter der Kritik an den klassischen Noten – und welche Alternativen gibt es? Lesen Sie jetzt mehr in unserem Blogbeitrag:

Inhaltsverzeichnis:

Schulnoten: Gruppe von Schueler_innen mit Zeugnissen und Abschlusskappen

1. Warum gibt es Schulnoten überhaupt?

 

Die Einführung von Noten im 19. Jahrhundert hatte ein klares Ziel: Bildung demokratisieren. Studien- und Ausbildungsplätze sollten nach Leistung vergeben werden, nicht nach Herkunft. Noten galten als objektiv, vergleichbar und transparent – und sollten eine faire Auswahl ermöglichen. Bis heute argumentieren Befürworter*innen mit diesen Punkten: Schulnoten machen Leistungen sichtbar, erlauben Vergleiche und liefern eine Entscheidungsgrundlage für Übergänge und Bewerbungen. Die Notenvergabe ist dabei rechtlich geregelt und bezieht sich auf mündliche, schriftliche und praktische Leistungen. Viele Bildungsforscherde und Praktiker*innen sprechen sich allerdings für alternative Formen der Leistungsbewertung aus, die individuell statt vergleichend sind und die die Lernentwicklung stärker berücksichtigen. Denn je genauer man hinschaut, desto deutlicher wird, dass die geltenden Annahmen über Schulnoten nicht mit der Realität übereinstimmt.

 

Schulnoten: Kinder melden sich in der Klasse

 

2. Was messen Schulnoten wirklich?

 

Eine Note ist mehr als eine Zahl – oder doch weniger? Eine Note „2“ in Deutsch sagt wenig darüber aus, ob ein Kind gut schreiben kann, gut lesen kann oder grammatikalisch sicher ist. Die Gesamtnote ist eine Summe aus Teilleistungen und fasst verschiedene Teilbereiche zusammen. Das glättet individuelle Stärken und Schwächen und reduziert so die Aussagekraft der Schulnoten.

Hinzu kommt: Studien zeigen, dass Noten von vielen Faktoren beeinflusst werden, die mit Leistung wenig zu tun haben. So belegen Untersuchungen der Universitäten Zürich und Bern, dass Geschlecht, Herkunft und Körpergewicht einen messbaren Einfluss auf die Bewertung haben – unabhängig von den tatsächlichen Leistungen. Ein schlankes Mädchen aus einem Akademikerhaushalt bekommt so eher eine gute Note als bspw. ein Junge mit höherem BMI und Migrationshintergrund. Die Schulnoten sind also keineswegs so valide, objektiv oder verlässlich wie es scheint – Kriterien, die eigentlich für eine faire Bewertung gelten sollten.

3. Das Problem mit der Vergleichbarkeit von Noten

 

Schulnoten sollen Vergleichbarkeit schaffen – doch gerade das funktioniert oft nicht. Warum? Weil die Notengebung sich meist an der jeweiligen Lerngruppe orientiert. Noten bilden nicht den objektiven Leistungsstand ab, sondern die Rangfolge innerhalb einer Klasse. Das bedeutet: Orientiert an der Annahme der Normalverteilung kann eine durchschnittliche Leistung in einer leistungsstarken Klasse zur „4“ führen, in einer leistungsschwächeren aber zur „2“. Auch zwischen verschiedenen Lehrpersonen, Schulen oder Bundesländern sind Noten kaum vergleichbar – weil unterschiedliche Lehrpläne, Bewertungsmaßstäbe und pädagogische Kulturen gelten. Noch schwieriger wird es, wenn Noten mathematisch verarbeitet werden. Die Umrechnung von Punktzahlen in Noten verzerrt die Aussagekraft der Beurteilung, weil Noten keine echten Zahlenwerte sind – sondern Rangstufen. Der häufig verwendete Notendurchschnitt ist daher oft eine „Scheingenauigkeit“, die eigentlich maximal als Orientierung genutzt werden sollte.

 

Schulnoten: Mathematik-Aufgaben-mit-Bleistift-und-Taschenrechner

 

4. Alternative Bewertungsformen: Was geht auch anders?

 

Viele Schulen und Länder experimentieren und arbeiten mit anderen Formen der Leistungsrückmeldung – von Berichtszeugnissen bis hin zu Portfolio-Arbeiten. In Hamburg dürfen Schulen bis zur 8. Klasse auf Schulnoten verzichten. In Schleswig-Holstein, Bayern und anderen Bundesländern setzen (Grund-)Schulen auf Lernentwicklungsgespräche und sogenannte Rasterzeugnisse, in denen detailliert die einzelnen Kompetenzen und Fähigkeiten eines Kindes bewertet werden. Diese Methoden bieten den Vorteil, dass sie differenzierter aufzeigen, wo genau Stärken und Schwächen liegen – und damit gezielte Förderung ermöglichen.

5. Formatives Assessment: Lernen im Fokus

 

Ein besonders vielversprechender Ansatz ist das formative Assessment. Im Gegensatz zum summativen Assessment, das am Ende einer Lerneinheit zur Notenvergabe dient, findet die formative Bewertung kontinuierlich während des Lernprozesses statt. Ziel ist es, Schüler*innen gezielt Rückmeldung zu geben, sodass sie ihren Lernfortschritt besser einschätzen und selbst aktiv an Verbesserungen arbeiten können. Hierbei spielt auch die Selbsteinschätzung eine wichtige Rolle. Das Lernen soll im Prozess angepasst und in die richtige Richtung gelenkt werden.

In der Praxis soll die Lehrkraft mithilfe formativer Testverfahren herausfinden, wo die gesamte Klasse steht, wer im Einzelnen noch Unterstützung benötigt, wo möglicherweise eine andere Methode hilfreich wäre oder wer unterfordert ist und sich langweilt.

Mögliche Methoden für formative Bewertungen sind zum Beispiel:

  • unbenotete Quizze
  • adaptive Tests
  • Feedbackzyklen bei denen Aufgaben nach einer Rückmeldung nochmals überarbeitet und erneut abgegeben werden
  • Selbstbeurteilung durch Schüler*innen
  • Sokratische Seminare in denen die Lehrkraft eine Gruppendiskussion zur tiefen Auseinandersetzung mit einem Thema moderiert

Fehler bei formativen Tests sollten nicht nur toleriert werden, sondern können, wenn sie sinnvoll provoziert und reflektiert werden, dass Lernen sogar beschleunigen. Daher sollten diese nicht mit summativer Notenvergabe vermischt werden, also lediglich als Information zum Lernstand dienen und nicht Anlass für eine schlechte Bewertung sein.

 

Schulnoten: Schueler_innen-auf-dem-Schulhof-mit-Heften

 

6. Iterative Verfahren und langfristige Entwicklung

 

Besonders wichtig bei formativer Bewertung ist das iterative Assessment, welches ermöglicht die Lernentwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg sichtbar zu machen. Durch wiederholte Bewertungen wird nicht nur ein einmaliger Leistungsstand abgebildet, sondern ein Lernverlauf, der Aufschluss darüber gibt, wie sich Kompetenzen entwickeln. Solche Verfahren bieten Lehrkräften die Möglichkeit, frühzeitig zu erkennen, wo Unterstützung notwendig ist – und wo bereits Fortschritte erzielt wurden.

 

7. Modelle aus der Schulpraxis

 

Bereits heute setzen verschiedene Schulen alternative Bewertungsformen erfolgreich um. An Waldorfschulen und in einigen Modellschulen wird bis zur neunten Klasse komplett auf Schulnoten verzichtet. Stattdessen kommen Präsentationen, Portfolios und regelmäßige Entwicklungsgespräche zum Einsatz.

Auch in den Regelschulen werden alternative Konzepte erprobt:

  • Rasterzeugnisse: Statt einer einzigen Ziffer wird in Rasterzeugnissen aufgezeigt, welche spezifischen Fähigkeiten in einem Fach erreicht wurden.
  • Lernentwicklungsgespräche: Eltern und Kinder werden aktiv in den Prozess eingebunden, sodass die Rückmeldungen als Grundlage für weitere Lernziele dienen können.

Alle diese Verfahren haben einen großen Vorteil: Sie machen besser sichtbar, was ein Kind kann. Je mehr Facetten in die Bewertung aufgenommen werden, desto gerechter wird diese. Gemeinsame Gespräche tragen außerdem dazu bei, Verständnis und Vertrauen zwischen allen Beteiligten aufzubauen. Dass alternative Bewertungssysteme funktionieren, zeigt z.B. die Waldparkschule Heidelberg. Hier gibt es bis zur achten Klasse keine Zensuren. Die Schüler*innen treffen sich jede Woche mit ihrer Lehrkraft zu einem persönlichen Coaching-Gespräch, regelmäßige Lernbriefe ersetzen herkömmliche Notenzeugnisse, und Lerntagebücher helfen den Kindern zu verstehen, wo sie aktuell stehen und welches Lernziel sie als Nächstes anpeilen.

 

8. Hindernisse alternativer Bewertungen

 

Alternative Bewertungsmethoden sind zwar vielversprechend, haben aber auch ihre Herausforderungen. Das größte Problem: Sie erfordern deutlich mehr Zeit. Zudem sind sich Bildungsexpert*innen einig, dass am Ende des Bildungswegs weiterhin zentrale Abschlussprüfungen stehen. Bislang fehlt eine praktikable Lösung für notenfreie Zeugnisse bei mittlerer Reife oder Abitur. Ohne Schulnoten haben Absolvent*innen derzeit noch Nachteile – sei es beim Numerus clausus oder bei Ausbildungsbewerbungen.

 

Schulnoten: Ältere-Schülerin-in-Bibliothek

9. Digitale Tools als Helfer

 

Notenvergabe und Bewertungen, egal ob konventionell oder alternativ bedeuten Arbeits- und Zeitaufwand für Lehrkräfte. Digitale Werkzeuge wie das Lern- und Notenmanagment der Sdui Gruppe helfen Ihnen, den Unterricht effizient zu organisieren und Schüler*innenleistungen individuell zu verfolgen und fördern:

  • Mit dem digitalen Notenbuch haben sie alle Bewertungen an einem Ort: Nutzen Sie quantitative und qualitative Bewertungen, individuelle Symbole und personalisierte Bewertungsarten. Automatische Berechnungen passen sich durch Formeln und Konditionalen an Ihre Anforderungen an.
  • Rubriken ermöglichen eine formative Bewertung, die einfach druckbar und exportierbar ist. Sie können nach Ihren Bedürfnissen gestaltet und direkt mit Kompetenzen und Bewertungskriterien verknüpft werden.
  • Mit Lernquizzen wird formatives Assessment einfach: Gestalten Sie Tests und Aktivitäten für Ihren Unterricht und hinterlassen Sie Kommentare und Beobachtungen. Analysieren Sie das Lernverhalten Ihrer Schüler*innen und verknüpfen Sie alles direkt mit dem digitalen Notenbuch.
  • Differenzierte Bewertung und Rückmeldung werden durch Entwicklungsberichte erleichtert: Erstellen Sie individuelle Berichte zu Bewertungen, Vorfällen oder Fähigkeiten und setzen Sie Entwicklungsziele. Visualisieren Sie den Fortschritt Ihrer Schüler*innen in Echtzeit für gezielte Förderung und verknüpfen Sie die Daten automatisch mit dem digitalen Notenbuch.

 

10. Fazit: Verantwortung, Anerkennung und Mitbestimmung

 

Die Diskussion um Schulnoten zeigt deutlich: Es geht nicht nur um eine Zahl, die Leistung abbildet – es geht um die Art und Weise, wie wir Lernen bewerten und fördern. Klassische Noten vermitteln oft nur eine Scheinsicherheit und berücksichtigen nicht die gesamte Bandbreite der individuellen Lernentwicklung. Alternativen wie formatives Assessments oder dialogische Bewertungsformen eröffnen neue Wege, um Leistungen differenzierter und gerechter zu beurteilen. Schlussendlich müssen Leistungsrückmeldungen und die künftige Lernplanung Hand in Hand gehen. Nur wenn Schüler*innen aktiv in den Bewertungsprozess einbezogen werden und nicht ausschließlich auf Schulnoten als Maßstab vertrauen, können sie Verantwortung für ihren Lernprozess übernehmen – und Lernen wird zur echten Anerkennung ihrer individuellen Fortschritte.

Quellen: